Die Zimmermannsarbeit in Vergangenheit und Gegenwart

 

Die Arbeit des Zimmermanns erfolgte besonders auf dem Lande jahrhundertelang in traditionellen Formen und mit althergebrachten Werkzeugen und Geräten. Das zum Bauen benötigte Holz wurde früher vom Bauern mit seinen Knechten - ganz selten vom Zimmermann - im Wald gefällt. Dies mußte stets in der saftärmsten Zeit des Holzes, nämlich im Christmond (Dezember) und noch dazu bei abnehmenden Mond geschehen, um das mit diesem Holz zu erstellende Bauwerk vor Wurmfraß, vorzeitiger Fäulnis und damit vor nur kurzer Lebensdauer zu schützen. Es wäre früher undenkbar gewesen, Holz zum Bauen im Sommer einzuschlagen. Zur Holzfällung dienten neben der langen Zweimann-Säge und der Axt auch einige Keile aus Hainbuchenholz oder Eisen.

Das "Aus-" oder "Zusammenstroafen" der ausgefällten, ausgeästeten und teilweise abgelängten Baumstämme zum Lagerplatz am Waldrand oder einem geeigneten freien Fleckchen inmitten des Waldes, die allerdings alle an einem Fahrweg liegen mußten, geschah stets mit ein oder zwei Pferden, gelegentlich wurden auch Ochsen dazu verwendet.                                                                 

                                                                       

Hier am Lagerplatz sind dann einer oder auch mehrere große Rundstapel angelegt worden. Beizeiten im Frühjahr, wenn der Frost aus dem Holz war, traten auch schon die Zimmerleute auf die Stelle. Das ganze Rundholz wurde dort am Waldrand "g´haut", das heißt mit Bundhacke und Breitbeil zu Kantholz behauen. Eine solche Holzbehauarbeit wurde früher meist von sechs bis zehn Zimmerleuten - je nach Größe des zu erstellenden Baues - in oft wochenlanger harter Arbeit vollzogen. Jeder Stamm  wurde dazu vorher entsprechend abgelängt, auf kräftige hölzerne Hauböcke gehoben, anschließend richtig fluchtend gedreht, diagonal mit schweren Eisenklammern auf den Schragen drehsicher befestigt und dann an den zu schnürenden Flächen entrindet, was der Zimmermann das "Abweißen" nannte. Nachdem mit Zollstock, Senkel, Ring und Schnur der Querschnitt des künftigen Balkens mittels Werfen der Schnur bestimmt war, konnte das "Einmachen", das heißt das Auskerben der abzuschlagenden "Schwartlinge" des Stammes beginnen. Dieses Einmachen geschah stets mit der Bundaxt und im gleichmäßigen Takt, was bei sechs oder mehr Zimmerleuten großes Können erforderte. Kam einer von ihnen dabei aus dem Rhythmus oder blieb mit der Axt hängen, schlug ihm der andere mit der "Schneid" in voller Wucht auf die Klinge der Axt. Auch kam es dabei manchmal vor, daß sich der Zimmermann dabei ins "eigene Fleisch", nämlich in das Bein schlug und schwere Verletzungen zuzog.     

                                                                              

Überhaupt war das Beschlagen des Holzes, das "Holzhaun", wie es der Zimmermann nennt, eine sehr schwere, sehnen- und muskelstrapazierende Arbeit, und jeder Zimmermann tat gut daran, sich vorher die Handgelenke mit speziellen Lederbinden vor Sehnenzerrungen, Prellungen und ähnlichem zu schützen. War das "Einmachen" schließlich beendet und waren an beiden Seiten des auf den Bock liegenden Stammes in Abständen von ca. 25 bis 50 cm schön gleichmäßig die Kerben geschlagen, konnte mit dem "Abwerfen", d.h. mit dem Weghauen des Zwischenholzes begonnen werden; auch hierzu diente die Bundaxt. Nach dem Abwerfen begann das "Beilen" mit dem Breitbeil. Diese Arbeit verlangte vom Zimmerer großes Geschick und Augenmaß; er mußte genau den roten Schnurschlag halbieren und absolut senkrecht und geradlinig das Beil nach unten durchhauen.

Waren somit endlich zwei Seiten des Balkens fertig gehauen, wurden mit dem Haken des Breitbeiles die Klammern gelöst, der Stamm gedreht, und die Arbeit begann noch einmal von vorne  mit den letzten beiden Seiten. Zuletzt wurden noch mit dem Zugmesser evtl. schiefrige Ecken etwas abgegratet und das behauene Kantholz war fertig zum Stapeln und Trocknen. Daß das so von Hand beschlagene Holz stets entsprechend dem Wuchs des Stammes konisch, das heißt sich nach oben verjüngend beschlagen wurde, war eine Selbverständlichkeit.

Eine Holzliste, wie wir sie heute kennen, gab es früher nicht. Der Zimmermeister fertigte sich wohl nach dem Plan einen Zettel mit Angaben der wichtigsten Hölzer; alle anderen Holzteile wurden nach alter Erfahrung dimensioniert und einfach in genügender Anzahl hergerichtet. Da den Brettern, Riegeln, den Pfetten, Säulen, Streben und dergleichen ein anderes Schnurzeichen, "Samzeichen" genannt, zur Unterscheidung voneinander schon bei der Behauung gegeben wurde, war ihre vorgesehene Funktion ohnehin leicht zu erkenne, und das Kantholz konnte zum Abbund auch entsprechend leicht sortiert werden                                                    .            

                                                                

Eine statische Berechnung, wie sie heute üblich ist und wie sie auch oft behördlicherseits verlangt wird, war dem Zimmerer früher ebenso unbekannt. Er brauchte so etwas nicht, denn er hatte dafür noch ein rechtes statisches Gefühl. Und die jahrhundertelange Erfahrung, die von dem Meister über Lehrling und Geselle an den jungen Meister weitergegeben wurde, gab ihm eine Sicherheit, mit Holz umzugehen und es sowohl funktionell als auch künstlerisch zu formen und zu gestalten, die uns heute mit Recht in Staunen versetzt. Freilich, es gab damals auch gelegentlich Stümper, sie hat es wohl immer gegeben, gibt es heute und wird es wohl auch in Zukunft geben.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Ingenieurbaukunst immer mehr Einfluß auf die Gestaltung und Dimensionierung   auch von hölzernen Dachstuhlkonstruktionen nahm und der Architekt immer öfter auf den Plan trat, wurde dem Zimmermann auch viel an gestalterischen Freiheiten genommen, er wurde allmählich zum bloßen Vollzugsorgan des Ingenieurs und Architekten, eine Entwicklung, die sicherlich ihre positiven, aber leider auch ihrer negativen Seiten hatte und auch heute noch hat. Oblag dem Zimmerer früher - wie bereits erwähnt - das Beschlagen des Rundholzes zu schwerem Kantholz, so war es Aufgabe der Sägemühlen, große Blöcke mittig aufzutrennen, vor allem aber Bretter, Bohlen und Latten daraus zu schneiden, der eine pfuschte somit dem anderen nicht ins Handwerk und was zu nageln war, machte der Zimmerer, was dagegen geleimt werden mußte, der Schreiner. Die ersten Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges brachten dann auch hier eine Wende. Der Zimmermann hörte endgültig auf, Kantholz zu behauen und überließ diesen Arbeitsbereich gänzlich den Sägewerken, das Beschlagen des Holzes wurde zu unwirtschaftlich. Der Schreiner führte nun auch Arbeiten aus, die vordem nur dem Zimmermann oblagen und umgekehrt.                                                                         

Nicht viel geändert hatte sich bis dorthin allerdings die Arbeitsweise des Zimmerers beim zulegen und Abbinden der Kanthölzer und Aufstellen des Dachstuhls. Die genauen Längenbestimmungen des Bauholzes und die Ausbildung der Einblattungen, Verzapfungen und sonstigen Konstruktionen und Zierformen für den Dachstuhl, beispielsweise für einen hölzernen Stadel, waren immer noch nur am Bundplatz möglich. Nur dort wurde zugelegt. Als Bundplatz diente stets eine möglichst ebene Fläche. Nur war es wichtig, daß dieser Platz möglichst nahe an der Baustelle lag.

War ein Dachstuhl zuzulegen und anzubinden, wurde vom Bauherrn das sauber, luftig und fluchtgerecht im Stapel aufgerichtete und damit gut luftgetrocknete Kantholz auf einen wagen geladen und an den Abbundplatz gefahren. Dort wurde es abgeladen und von den Zimmerern entsprechend sortiert. Nun konnte das Zulegen und Abbinden beginnen. Dazu wurden sowohl die "Längsgespränge", die Längsverbände wie auch die Querverbände und Aussteifungen, die Binder auf den Reißbogen am Bundplatz zugelegt, gerissen, geschnitten, geputzt, zusammengestellt und wo erforderlich auch gebohrt, kurzum alles fix und fertig abgebunden. Dabei wurden auch alle Aus- und Einblattungen, Zapfen, Schlitze, Löcher, Profilierungen usw. mit der Stichaxt, dem Stemmeisen, dem Beil und der Bundsäge von Hand geschnitten, geputzt, gestemmt. Die schon seit dem frühen 19. Jahrhundert anfangs nur selten, doch später immer häufiger verwendeten eisernen Verschraubungen wurden - außer an den Bohrlöchern aber stets erst beim Zusammenstellen der Binder - vor dem Aufstellen an Ort und Stelle angebracht. War zum Beispiel ein Stadel fertig am Bundplatz abgebunden und zusammengestellt, wurde alles  wieder auseinandergenommen und dort aufgerichtet. Erst als es endlich nach ein paar Wochen "zum Aufstellen wurde", brachte man alle Einzelteile mit einem Zweiradkarren oder auf der Schulter tragend an die Baustelle, baute dort die Binder oder - je nach Konstruktionsart - auch die Längsgespränge mit den Bauwerken am Boden liegend endgültig zusammen und nagelte sie bzw. schraubte die wichtigsten Partien fest, der Rest wurde provisorisch verklammert und dann alles fein säuberlich der Reihe nach zum Aufstellen hingelegt bzw. hergerichtet.             

Nun konnte endlich das Aufstellen beginnen. Der Meister holte dazu stets alle seine Zimmerleute zusammen, auch der Bauherr besorgte Tagelöhner, Knechte, ja sogar manchmal seine Dienstmägde, und aus der nächsten Nachbarschaft kamen dazu ebenfalls Helfer herbei. Mit dem Gebetsspruch des Meisters: "In Gott´s Nam`" und dem Ruf "Ho ruck" hob man mit vereinten Kräften die am Boden liegenden zusammengestellten  von Hand unter einem nach dem anderen der Reihe nach an, stellte sie mit Hilfe der Wasserwaage und verankerte sie provisorisch bis die Längsaussteifungen wie Pfetten, Riegel, Bänder auf bzw. angebracht waren und die gesamte Konstruktion schließlich als nacktes Gerippe selber genug standfest war. Das Aufstellen, insbesondere das Aufbringen und Einhebeln der Pfetten, zählte zu den schwersten Muskelarbeiten, die die Zimmerleute zu vollbringen hatten. Die alten Zimmermannsrufe: "Ho ruck" und "Holz her" konnte man da oft den ganzen Tag hören. Die Zimmerleute auf dem Lande hatten es da in früheren Zeiten zum Teil um einiges leichter: Die Gebäude und Stockwerke waren bei weitem nicht so hoch wie im 19. oder 20. Jahrhundert. Alles, sogar die Maße  und die Dimensionen der Dachstühle und Abstände der Pfettenlagen waren noch menschengerechter, alles war praktisch auf das Körpermaß des Menschen ausgerichtet, obwohl z.B. zum Aufstellen kaum ein oder gar kein Gerüst verwendet wurde, der Zimmermann baute sich sein erforderliches Gerüst gleich für immer mit in die Dachstuhlkonstruktion hinein.           

                                                 

Als dann ab 1870 das Metermaß die Elle verdrängte, wurden auch immer mehr die schönen ausgewogenen Proportionen und üppigen Verzierungen am Gebäude verdrängt und das "unmenschliche" alles berechnende Maß begann allmählich seinen Siegeszug am Bau.

Das "Eintafeln", d.h. das Aufbringen und Annageln der Vordachschalungen an den Giebeln und Traufen, das Einlatten mit Holzlatten und das Anbringen der Giebelstirnbretter war die nächste Arbeit, ehe an das Eindecken der Dachfläche mit Falzziegeln herangegangen werden konnte. Anbringen der Wand, Verbretterung sowie das Anfertigen, Einbauen und Anschlagen der Türen und Tore, kurzum der gesamte Ausbau dauerten oft nur noch mehrere Wochen, ja oft sogar Monate, bis schließlich der neue Bau bezugsfertig dastand.

Vieles allerdings ist heute längst anders geworden. Der Maschinenlärm macht in unserer Zeit den Zimmermann gesprächsarm. Gerade dort, wo sich einst die Zimmerleute auf dem Holz sitzend beim Stemmen von Zapflöchern oder beim Schneiden mit der Bundsäge recht angeregt über allerlei Dinge unterhalten konnten, ohne daß dabei die Arbeit beeinträchtigt wurde, ist heute die Maschine zum "Gesprächspartner" geworden. Sie ist es auch, die ihm zwar schwere Arbeit abnimmt, ihn aber immer mehr von ihr abhängig macht. Die Gesamtarbeitszeit wurde, verglichen zu früher, zwar wesentlich kürzer, die Arbeit selbst aber nicht um vieles leichter, in manchen Dingen, z.B. beim Abbund, oft sogar schwerer, weil der Zimmermann, dem Zwang der Maschine ausgeliefert, meist zum dauernden "Holzschlepper" geworden ist.

Um 1960 begann schließlich auch im ländlichen Bereich die fabrikmäßige Herstellung, Lieferung und Montage moderner genagelter, geschraubter oder verleimter Binderkonstruktionen ihren Siegeszug. Seitdem bestimmen normierte Flachställe immer häufiger unser Hof - und Landschaftsbild. Die Mode der vordachlosen Gebäude, die sich wie Hüte ohne Krempen in unserer Heimat breit machen und schließlich noch die ganz waagerechten Dächer, die des Zimmermanns gänzlich entbehren, brachten für dieses traditionsreiche Handwerk beinah das Ende. Aber auch diese Zeit ging vorüber. Das Zimmererhandwerk erlebte Anfang der 70iger Jahre eine Wiederbelebung, Holz am Bau war wieder gefragt. Alte Handwerkspraktiken sind wieder gefordert, und die Liebe zum Zimmermannsberuf ist bei manchen wieder neu entdeckt worden. Die Zeit des alten "Zimmermanns" aber ist für immer vorbei. Der Computer machte auch vor dem Handwerk der Zimmerei nicht halt. Seit etwa1975 wurde dieses elektronische Gerät immer mehr zu einer der wichtigsten Arbeitshilfen in der Hand des Zimmermannsingenieurs von heute. Es gibt nun Spezialcomputer, denen ein ganzes Berechnungs- und Abbundprogramm eingegeben werden kann. Diese Computer berechnen und drucken mit mathematischer Genauigkeit in wenigen Sekunden die gesamte Dachstuhlkonstruktion mit allen notwendigen Details, Holzlängen und Knotenpunkten aus und ersparen damit das gesamte handwerkliche Aufreißen und Zusammenstellen auf dem Reißboden. Die einzelnen Holzverbindungen können nun mit verschiedenen Maschinen bequem auf den Holzböden nach Zeichnungen und berechneten Winkeln und Neigungen ausgeführt werden, und das kraftraubende Aufstellen des Dachstuhls und Einheben der Balken, Pfetten und Sparren besorgt ein Turmdrehkran oder ein Autokran, die Schrauben werden ebenfalls maschinell eingezogen. Ein Höchstmaß sicheres Arbeitsgerüst ist heute am Bau zur Selbstverständlichkeit geworden.

                                                      

Auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert werden wohl fast alle traditionellen Zimmermannsarten von Maschinen und Computern besorgt werden, vielleicht wird der Computer eines Tages sogar noch den passenden Zimmermannsspruch für das Richtfest ausrichten.

 

Titel: "Zimmermannsarbeit in Vergangenheit und Gegenwart". Autor: Alois Stockner, Kreisheimatpfleger a. D. vom Landkreis Altötting (Oberbayern). Erschienen ist dieser Artikel im Buch mit dem Titel "Das Bundwerk in Bayern" von Dipl. Ing. Paul Werner aus München im Verlag Anton Plenk, 83471 Berchtesgaden.Datum 1. Auflage Herbst 2000.