(Vortrag zu einer Gewerkschaftsveranstalltung von Hans Müller r.frd. Altgeselle
zu Köln)
Das Handwerk hat nicht nur goldenen Boden für die Betriebsinhaber, sondern kann auch auf eine Tradition von mehreren tausend Jahren zurückblicken.
Mit der Entwicklung der Städte, mit der die Spezialisierung und
Neuentstehung vieler Handwerksberufe einherging, verstärkte sich in den Reihen
der Handwerker der Wunsch nach einer Organisation zum gemeinsamen Schutze und
zur Regelung der das Gewerbe betreffenden Fragen. Beflügelt durch die Einsicht,
daß vereinigt auch die Schwachen mächtig werden, kam es schon bald zur Bildung
von Zünften.
Sie dienten der Verfolgung gemeinsamer, wirtschaftlicher und sozialer, sowie
politischer und religiöser Zwecke und waren ursprünglich Vereinigungen von
Handwerkern desselben Handwerkszweiges.
Vollberechtigte Mitglieder der Zunft waren nur die Handwerksmeister. Ihre Frauen
und Kinder, sowie die Gesellen und Lehrlinge hatten lediglich den Status von
Schutzgenossen und konnten nur passiv am Geschehen dieser Körperschaft
teilnehmen. Der Status der Schutzgenossen wurde auf Personen bezogen, denen es
nach damaliger Rechtsauffassung an persönlicher Selbständigkeit mangelte und
die deshalb selbständige Rechte und Pflichten in der Zunftgenossenschaft
überhaupt nicht haben konnten.
Der Zunft standen die sogenannten "Älterleute" oder
"Zunftmeister" vor, die jährlich neu gewählt wurden.
Ihnen zur Seite standen die erfahrensten und ältesten Meister.
In der sogenannten "Morgensprache" wurden alle wichtigen
Angelegenheiten beraten. An ihr nahmen alle Handwerksmeister teil. Die Gesellen
besaßen in der Zunftorganisation kein eigenes Organ das Leben freudlos, die
Aussicht auf bessere Verhältnisse gering, die Mühe ums tägliche Brot nicht
klein die Ausbeutung der Knechte peinlich und verbitternd. Lohndrückereien,
Lohnkredit, Druck, Lehrlingszüchterei durchaus nichts seltenes, der
Rechtsschutz nur zu oft mangelhaft, häufig sogar eine leere Passe, so stellte
sich die soziale Situation der lohnabhängig im Handwerk Beschäftigten zu jener
Zeit dar.
Sie bildete den Nährboden für die Entstehung der Gesellenverbände. Die
Zünfte waren ihrem Wesen nach lediglich die Vereinigung der Meister. Die
Gesellen wurden wie Instrumente benutzt.
Für die Ansprüche der Gesellen war deshalb die Zunft als Genossenschaft der
Meister nicht die geeignete Organisation zur Durchsetzung ihrer Ziele. Sie
strebten deshalb nach einem gleichen genossenschaftlichen Zusammenschluß, nach
eigenen Verbindungen. Das Organisationsbedürfnis der Gesellen kommt in zwei
Erscheinungsformen zum Ausdruck.
So entstehen rein kirchliche Brüderschaften und weltliche Gesellenschaften.
Durch die Reformation erlebten die kirchlichen Bruderschaften einen allgemeinen
Niedergang. Die weltlichen Gesellenschaften werden die dominierende
Genossenschaftsform der Gesellen.
Die wirtschaftliche Entwicklung, die im organisierten Handwerk die Vereinigung
der Meister hervorgebracht hatte, bewirkte nun auf der Gegenseite den
Zusammenschluß der Gesellen. Die Festsetzung des Lohnes oblag zu jener Zeit
einzig und allein der Meisterschaft. Eigenmächtiges Fernbleiben der Gesellen
von ihrer Arbeit hatte aufgrund der strengen Herrschaftsverhältnisse vieler
Orts, den Ausschluß aus dem Gewerbe zur Folge.
Ein weiteres Feld der Aktivitäten der Gesellenverbände war der Bereich der
Bestimmung der Arbeitszeit. Wie aus den uns zur Verfügung stehenden Urkunden
hervorgeht, war es nicht so sehr die Verkürzung der täglichen
Arbeitszeit, welche die Gesellen forderten, obwohl auch hier hinreichend Anlaß
gegeben war, sondern in erster Linie die Verringerung der Anzahl der
Arbeitstage. Man forderte eine Arbeitsbefreiung in Form des ,blauen
Montags" Hierdurch sollte es den Gesellen ermöglicht werden, wenigstens
alle 14 Tage ins Bad gehen zu können, ohne dabei den gesamten Lohn zu
verlieren. Mit zunehmender Stärke der Gesellenverbände gelingt es diesen,
bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Montag als freien Tag abzutrotzen.
Der Montag wurde den Gesellen häufig als halber Feiertag zugestanden.
Auch auf dem Gebiet der Handwerksgerichtbarkeit ließen sich die
Handwerksmeister schon bald von der Macht des Faktischen überzeugen. So wurde
den erstarkten Gesellenverbänden schon relativ früh in Fragen von
Lehrlingsstreitigkeiten, ein den Meistern fast gleichwertiges Mitspracherecht,
eingeräumt.
Was die Aufrechterhaltung der Ehre des Handwerks anbetraf, so standen die
Gesellenschaften in dieser Frage nicht hinter den Organisationen der
Handwerksmeister zurück. So wurde bei allen ehrbaren Gewerken bei der
Eröffnung der Lade vom Altgesellen dreimal gefragt, ob etwas, was wider die
Handwerksgewohnheit liefe, begangen worden sei.
Eine der bedeutendsten Funktionen der Gesellenschaften, liegt wohl in ihren
Aufgaben im Bereich der Lehrlingsausbildung. Hier wurde den Gesellen schon früh
eine zumindest indirekte Einflußnahme eingeräumt.
So wurde eine durch die Zunft freigesprochener Handwerkslehrling durch die
Gesellenschaft zunächst noch nicht als gleichberechtigter Geselle anerkannt.
Erst durch die Mitgliedschaft im Gesellenverband wurde dem Lediggesprochenen
diese Anerkennung zuteil. Dabei hatte er sich dem Zeremoniell des
"Gesellenmachens" zu unterziehen.
Eine weitere zentrale und einflußreiche Funktion fiel den Gesellenschaften
durch den Wanderzwang und das in ihrer Obhut liegende Herbergswesen zu. Sie
entwickelten sich hierdurch zugleich zu einem Institut zur Regelung des
Arbeitsangebotes. Der Schwerpunkt dieses Aufgabenbereichs lag in der Betreuung
der zugewanderten Gesellen. So fand der zugereiste Geselle, nachdem er auf der
Herberge des ehrbaren Handwerks zünftig zugereist war und sich als Mitglied
einer Gesellenschaft ausgewiesen hatte, in jeder Hinsicht Unterstützung. Bis
der zugereiste Geselle Arbeit gefunden hatte, fand der fremde Geselle in der
Herberge, dem Zentrum der Gesellenschaft sein Obdach und bekam sein
Zugereistengeschenk. Das Zugereistengeschenk hatte nicht nur den Charakter einer
Unterstützung, es war zugleich ein Mittel, den Arbeitsnachweis in der
Hand der Gesellenverbände zu konzentrieren.
Somit wurde es zur sozialpolitischen Waffe. Die reisenden Gesellen waren nicht
nur Träger technischer Neuerungen, sie waren auch die Kommunikationsträger der
organisierten Gesellenbewegung. Aus dem Geschenk entwickelt sich naturgemäß
ein Kampfmittel nach dem anderen, der Streik und die Sperre zuletzt.
Die bisherigen Betrachtungen haben uns gezeigt, daß die Gesellen als Folge
ihres Zusammenschlusses, ihre soziale Lage nach und nach verbessern konnten.
Zugleich gelang es ihnen das nicht, ihrer Genossenschaft in der Reihe der
mittelalterlichen Korporationen einen würdigen Platz zu verschaffen. Es gelang
den organisierten Gesellen auch nicht, die Zunftschranken zu durchbrechen und
dadurch früher das Meisterrecht zu erlangen.
Genau das Gegenteil geschah: Trotz der Existenz der Gesellenschaften konnte sich
die zünftische Engherzigkeit im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entfalten.
Nachdem der Dreißigjährige Krieg Deutschland verwildert und zerstört
zurückließ, waren Zunft und Gesellenschaft zwar der Form nach noch vorhanden,
aller ursprünglicher Elan jedoch daraus entwichen. Es begann jetzt ein
allmählicher Übergang von der engen geschlossenen Stadtwirtschaft zur
größeren Territorialwirtschaft.
Bereits im 16. Jahrhundert unternahmen das Reich, die Territorialherren und die Obrigkeit der Reichsstädte ernsthafte Versuche die Handwerksmißbräuche abzustellen. 1731 kam es dann in Augsburg nach langem Verhandeln zu einem Beschluß, der in die Geschichte als "Reichszunftordnung" einging. Die bisherige Selbstverwaltung der Zünfte wurde aufgehoben und die Zünfte der Staatsgewalt unterstellt. Der Schriftwechsel sollte der behördlichen Aufsicht unterliegen, ebenfalls das Versammlungswesen und die Errichtung gemeinsamer Verbände wurden verboten. Die Gerichtsbarkeit der Zünfte, bis auf einige Ausnahmen wurde aufgehoben und alle Manufakturen vom Zunftzwang befreit. Jede Verbindung zum Streik, sowie jeder Gesellenaufstand sollte mit Leibesstrafe oder Festungshaft geahndet werden. Auch wurde die Arbeitsvermittlung den Gesellen entzogen und wieder in die Hände der Meisterzünfte gelegt.
Außer Preußen wagte sich jedoch so schnell kein Land an die konsequente Durchführung dieser Gesetzesbestimmungen, denn die Macht der Gesellenorganisationen war nach wie vor groß und Aufstände von Seiten des Handwerks waren zu befürchten. Der soziale Grundgedanke, von dem die Zunftverfassung des Mittelalters geprägt war und der die Beschränkung des Einzelnen zum Wohle einer größeren Gesamtheit forderte, sollte durch den Grundsatz des freien Wettbewerbes ersetzt werden. Am 26. Dezember 1808 wurde die Gewerbefreiheit zum Prinzip der künftigen preußischen Gewerbepolitik erklärt. Damit wurden die alten überholten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen der Zunftordnung in großen Teilen Deutschlands endgültig abgelöst.
Im 14. -15. Jahrhundert hatte das Zunftwesen im Allgemeinen die Höhe seiner Macht und Bedeutung erreicht. Anders wurde das in den folgenden Jahrhunderten. Die Zunfteinrichtung verlor immer mehr ihr Ziel aus den Augen für das Ganze, für alle in ihr vereinigten Bestandteile zu sorgen, sie versagte je länger, je mehr infolge der stets wachsenden Selbstsucht und Engherzigkeit der Meister, die nur noch die eigenen, nicht aber auch die Interessen der Gesellen kannten und dadurch den Widerstand der letzteren hervorriefen.
Der Meisterschaft trat die Gesellenschaft als eine wohl organisierte
Macht entgegen. In dem langen Kampfe litten Zünfte wie Handwerk unsäglich.
Dazu kam noch, daß diese Einrichtung, die früher den Bedürfnissen der Zeit
angepaßt war, ihren Dienst nicht mehr erfüllte, daß sie einer neuen Zeit
nicht mehr entsprach und abgelegt werden mußte, wie ein altes, abgebrachtes
Kleid, daß den Körper nicht mehr deckt und schützt.
Lehrlinge hat es wohl zu jeder Zeit gegeben auch in der Handwerksorganisation
der Königs- und Herrenhöfe, wenn auch der Ausdruck "dicipulus"
keineswegs sich mit Lehrling deckt, sondern die dem Meister Unterstellten,
überhaupt also auch den Knecht oder Gesellen bezeichnet. Mit der allgemeinen
Einführung des Lehrzwanges mußten auch die Bedingungen unter denen die
Aufnahme des Lehrlings zu erfolgen hatte, klar bestimmt werden. Das spätere
Handwerksrecht setzte als erste Bedingung für die Aufnahme, das männliche
Geschlecht des Lehrlings voraus.
Gegen Ende des 17. Jahrhundert treten auch Lehrlinge im Handwerk auf, die
nach vollendeter Lehrzeit Gesellen werden und nach sechsjährigem Gesellenstande
das Meisterrecht erwerben konnten, während jene Gesellen die Meisterwitwen
heirateten, bezüglich der Erwerbung des Meisterrechts an keine Zeit gebunden
sind.
Eine zweite Vorbedingung, die bei der Aufnahme ins Handwerk unerläßlich
erschien, war die eheliche Geburt. Der unehelich Geborene konnte ebensowenig wie
ein Verbrecher einer Zunft angehören. Schon 1355 verlangten die Zunftstatuten,
daß keiner von ihnen einen Bastard lehren sollte. So rein sollten die
Handwerker nach einem späteren Handwerkssprichwort sein, als wenn sie Tauben
gelesen hätten. Der Aufzunehmende hatte schon nach dem Handwerksrecht des 16.
Jahrhunderts eine Art Ahnenprobe abzulegen, hatte den Nachweis zu erbringen,
daß seine Eltern und späterhin auch seine Großeltern in einem ehelichen Bett
gezeugt worden waren.
Weiter verlangte man von dem Aufzunehmenden, daß er deutschen Ursprungs sei,
der "deutschen Zunge" angehöre. Die Bestimmung galt übrigens
weniger im Süden und Westen, als im Norden und Osten Deutschlands und schloß
die Wenden und Slawen, die als unfrei galten vorn Handwerk aus.
Außer der ehelichen Geburt war nämlich auch die freie Geburt eine
Voraussetzung für die Aufnahme in das Handwerk. Daraus und nur daraus erklärt
sich die Abweisung ganzer Stände als unehrlich wie der Schäfer, Zöllner,
Stadtknechte, Turmwärter, Gerichtsfrone, Trompeter, Nachtwächter, der
fahrenden Leute, der Scharfrichter und Schinder.
Nach den Bestimmungen des westfälischen Friedens sollte der Lehrling auch
einem der anerkannten Glaubensbekenntnisse, dem katholischen oder evangelischen
angehören. Durch dieses Gesetz wurde das alte Herkommen, die Juden vom Handwerk
auszuschließen, sanktioniert.
Um einer Überfüllung im Handwerk vorzubeugen, ließ man wohl einen sogenannten
Stillstand in der Aufnahme der Lehrlinge eintreten. Man wollte eine
Überfüllung im Handwerk vermeiden. Bei den Knopfmachern wurde 1750 sogar ein
Stillstand von 25 Jahren eingeführt Meistersöhne waren auch hier wieder
ausgenommen. Meistersöhne genossen immer ein bedeutendes Vorrecht. Bei einer
ganzen Reihe von Handwerken galt damals die Bestimmung, da eines Bürgers Sohn
aus der Stadt als Lehrknecht angenommen werden könne. Entsprach nun der Knabe,
der das Handwerk begehrte, den dargelegten Erfordernissen, so stand seiner
Aufnahme als Lehrling kein Hindernis mehr im Wege.
Bei einzelnen Handwerken wie Schuster, Schreiner und Buchbinder wurde wohl noch
eine Probezeit von 2-4 Wochen vom Lehrling verlangt, damit er erkenne, ob sein
Gemüt auch die Lust zum Handwerke behalte. Als Entgelt für die Mühe
und Arbeit, welche der Lehrling verursachte, erhielt der Meister das Lehrgeld,
aber nicht auf allen Handwerken. Verschiedene Handwerke nahmen auch von Alters
her kein Lehrgeld. Einige Handwerke nahmen dann kein Lehrgeld, wenn der Lehrling
sich vier oder fünf Jahre aufdingen ließ.
Die Lehrlinge der Zimmerleute, Steinmetzen und Tüncher zahlten, bei
dreijähriger Lehrzeit 24 Gulden. War nun der Lehrling seinem Meister
aufgedrängt, so trat er damit in dessen Familie ein und der Meister übernahm
Vaterrechte über ihn. Er hatte die Pflicht der Lehre und Zucht des Lehrlings
und zu diesem Beruf war ihm das Strafrecht, das Recht der körperlichen
Züchtigung eingeräumt. Für den Jungen brachen jetzt trübe Tage an, eine
lange Zeit der Prüfung, die in der Regel drei Jahre dauerte, aber auch länger.
Nicht selten war es gerade, daß er zu Haus und Nebenarbeiten verwendet wurde
und vorn Handwerk außerordentlich wenig lernte. Die Kost war auch schmal und
dürftig. Die Lagerstatt hart und dürftig. In der Werkstatt aber gab es Püffe
und Stöße gerade genug vorn Meister und ganz besonders von den Gesellen.
Das Handwerk war allerdings verpflichtet ihm Schutz zu gewähren, der Vater oder
dessen Stellvertreter konnten für ihn eintreten. Aber ein solcher Schutz war
doch immerhin sehr fragwürdiger Natur gegenüber alten, eingenisteten
Gewohnheiten, die von den Herren der Lage als ein althergebrachtes Recht
ausgeübt wurden.
Aber auch für unseren Lehrjungen kam endlich der heißersehnte Tag, der all seinen Leiden ein Ende setzte, der ihm seinen Platz unter den Gesellen anwies und ihn mit denselben Rechten ausstattete, der Tag der Lossprechung. Bei allen Handwerken wurde die Lossprechung des Lehrjungen, wie man seine Erhebung in den Gesellenstand nannte, durch ein feierliches Zeremoniell begangen. In dem Gewande eines oft köstlichen Humors und unter fortwährenden Neckereien weisen sie dem angehenden Gesellen, der sich auf die Wanderschaft begeben will seinen Weg, sie geben ihm Lebens- und Verhaltensvorschriften, Anstandsregeln, überhaupt, eine Richtschnur an die er sich im allgemeinen halten konnte.
War so aus dem Lehrling ein Geselle geworden, ward ihm von der Zunft der
Lehrbrief ausgestellt und ihm von seinen Mitgesellen in feierlicher
Gesellenschenke ausgeschenkt worden, so griff er zum Wanderstabe um draußen die
Welt kennen zu lernen und sich in seinem Handwerk weiter auszubilden,
Erfahrungen zu sammeln und sich auf sich selbst zu stellen. Es schmeichelte auch
der Eitelkeit des aus der Fremde zurückkehrenden Gesellen, wenn er von sich
sagen konnte, daß er die Welt gesehen, von der er jetzt so manches zu erzählen
wußte und der er nun auch jenen äußeren Schliff zu verdanken hatte, der dem
Ungewanderten mehr oder weniger abging. Das Wandern liegt ja jedem Deutschen im
Blute, warum nicht auch dem jungen Gesellen, der eben vom Zwang der Lehrzeit
befreit, sich zu fühlen begann, der in der Fremde seine Freiheit besser zu
genießen hoffen konnte, als zu Hause bei den Seinen.
Da hätte es nicht erst des Wandergebots und des Wanderzwanges bedurft, um ihn
hinaus zu locken in die Ferne, wo ihm das Glück oder doch ein ungebundenes
Leben winkte. Das Wandern war eine sehr alte Gewohnheit, die sich ganz von
selbst aus dem Handwerk heraus bildete. Denn wenn in einem Ort, in irgend einem
Handwerk eine Überfüllung mit Arbeitskräften eingetreten war, so mußte sich
notwendig ein Abfluß der überschüssigen Arbeiter nach auswärts vollziehen.
Schon Ende des 15. Jahrhundert wurde das Wandern in einzelnen Städten und in
bestimmten Gewerben verlangt und bildete sich dann zu einem immer allgemeiner
werdenden Zwang aus. Aber auch hier genossen die Meistersöhne wieder sehr
große Vorteile, indem sie entweder vorn Wanderzwang völlig befreit waren oder
doch für sie eine kürzere Wanderzeit galt.
Auch der ledige Knecht, der eines Meisters Tochter zur Ehe nahm, wurde in
unberechtigter Weise bevorzugt, er erwarb das Meisterrecht wie ein Meistersohn
ohne Gebühr.
In der Kleidung hielt der Geselle sich dem Meister beinahe gleich. Die
Handwerker rechneten sich zu den freien Ständen. Der Geselle ging ebenso wie
der Meister mit Schwert oder Degen. Die Gesetze des 15.-16. Jahrhundert
schreiben vor, daß die Handwerker und ihre Knechte sich ziemlich in der
Kleidung tragen und halten sollen. Weiter war stets auf Wohlanständigkeit zu
halten. Nur in Rock, Mantel und Kragen mit bedecktem Haupt und in Handschuhen
sollte der Geselle über die Straße gehen und bei den Zimmerleuten galt die
Vorschrift auf dem Wege vom und zum Zimmerplatz Rock und Halsbinde zu tragen.
Aber nicht immer traten die Gesellen in so friedlicher und würdiger Weise auf. An Sonn- und Feiertagen nach der Predigt oder nach Feierabend stellten sie sich auf den Markt, belästigten die Leute, zogen bei Tag und in der Nacht mit Geigen und Saitenspiel durch die Straßen. Stadtknechte, Ratsdiener oder andere die ihnen das Treiben verboten wurden mit spöttischen Worten oder Schlägen vertrieben. Zwischen den eingesessenen Bürgern und den Handwerksgesellen und Studenten bestand nicht immer das beste Verhältnis. Waren doch beide Teile von großem Freiheitsdrang beseelt. Das endete oft mit großen Raufereien und Schlägereien, weil beide Parteien Waffen trugen oder mit Knotenstöcken schlugen.
Ihre Zusammenkünfte hielt die Gesellenschaft im Zunfthaus, in der Regel aber in der Herberge beim Herbergsvater in einer besonderen Stube ab, deren Bestimmung schon äußerlich zu erkennen war. Wenn die Gesellenvereinigungen stattfanden, in der Regel alle vier Wochen, waren alle Gesellen zu erscheinen gebunden. Auch die geschworenen Meister, auf jeden Fall nahm einer daran teil. In Wehr und Waffen zu kommen war nicht gestattet. Wer nicht pünktlich erschien mußte Strafe zahlen. Es wurde vom Altgesellen eine Umfrage gehalten, vom ersten bis zum letzen, auch wurden alle Namen aufgerufen, ob keiner fehlt. Hier konnten Klagen der Gesellen wider Gesellen und Meister und der Meister gegen Gesellen vorgebracht werden. Hier wurden die Zugereisten ausgeschenkt und auch die Abreisenden und der Willkommen ging von Mund zu Mund.
Hatte nun der Geselle seine Wanderjahre glücklich hinter sich, und dann noch
eine weiter Anzahl an Jahren "die Sitzjahre" in der Stadt, wo er sich
niederzulassen beabsichtigte, gesellenweise gearbeitet, so konnte er endlich
einmal an die Erwerbung des Meisterrechts denken. Aber auch nur denken, denn er
mußte, bevor er zum Ablegen der Meisterstücke zugelassen wurde, erst noch das
Meisterrecht muten, ein Zustand der zwischen einem halben bis zu drei Jahren
dauern konnte.
Aber auch dem Staat Gegenüber hatte er Verpflichtungen zu erfüllen, bevor er
das Meisterrecht erwerben konnte. Nur ein Bürger der Stadt konnte einem
selbständigen Beruf nachgehen und so war die erste Voraussetzung für den
selbständigen Betrieb eines Handwerks, die Erwerbung des Bürgerrechts.
Zuweilen wurde auch tüchtigen Meistern das Bürgerrecht geschenkt. Eine
Vorbedingung für das Erlangen des Bürgerrechts und damit in zweiter Linie für
den selbständigen Handwerks- betrieb war die Heirat und eheliche Hochzeit.
Das Handwerk oder die Zunft macht die Ausübung des Meisterrechts in fast allen
Fällen von dem Ablegen des Meisterstücks abhängig. Das Meisterstück war mit
großen Kosten verbunden. Die schauenden Meister waren mit Essen und Trinken
frei zu halten.
Bei manchen Handwerken nahm aber die Anfertigung der Stücke nicht weniger als
ein Vierteljahr in Anspruch und es gingen dann die Zehrungskosten der Meister
ins Maßlose. Dann kam noch die Meistergebühr und das Schlimmste von allem war
der Meisterschmaus. Von den hohen Kosten, die er verursachte, konnte der junge
Meister sich oft erst nach Jahren erholen.
Der Meister war in der Ausübung seines Handwerks an den Ort gebunden, in dem er das Bürgerrecht hatte. Mit der Erwerbung der Meisterschaft trat der Jungmeister als vollberechtigtes Mitglied in die Vereinigung der Meister ein. Er hatte jetzt das Recht aber auch die Pflicht an den Meisterversammlungen teilzunehmen.
Die Meisterversammlung wählt in ihrer Jahreshauptversammlung die Zunftvorsteher und gibt der Zunft Ordnung und Gesetze.